Ich, in einem kleinen Café sitzend, versuche zu schreiben, zu arbeiten. Irgendetwas, verdammt, versuche ich auf diesen weißen Hintergrund vor mir zu bringen. Aber meine HSP kommt mir dazwischen. Denn statt mich zu konzentrieren und loszulassen, sind meine Ohren weit offen, meine Sinne empfänglich für jedes Gespräch, jede Bewegung, jedes Geräusch um mich herum.
Es gibt Menschen, die lieben es inmitten von vielen anderen zu sein. In Coffee Shops zu arbeiten, zu lesen, sich physisch einzugliedern in die kuschelige Wärme von anderen Menschen, aber doch mental ganz bei sich zu sein. Ich nicht.
Franziska…
lässt sich leider immer noch schnell ablenken
(Zeugnis, 3. Klasse)
Neben mir geht ein Glas zu Bruch. Es ist wie als hätte man es mitten zwischen meine Augen geschleudert, so laut erscheint es mir. Ich kneife meine Augen zu. Ein Stuhl wird unsanft über den Beton gezogen, die Tür fällt geräuschvoll ins Schloss, hinten bei den Toiletten knallt jemand ein Fenster in die Verriegelung. Die Bedienung hinter der Theke beschwert sich über die Unordnung unter der Kasse, neben mir wird sich über die Arbeit ausgetauscht und die vielen Muttis an den Tischen um mich herum plappern über, was sonst, Kinderprobleme. Der Geruch von Kaffee und Kuchen liegt in der Luft, es ist wohlig warm, nur die sich öffnende Tür hinter mir lässt ab und an einen Schwall kühler Winterluft hinein, die meinen Oberschenkel kalt werden lässt. Ich fröstele. Und über das alles plärrt irgendein Singer Songwriter Gedudle hinweg. Ich registriere, dass ich den Song kenne und meine Gedanken beginnen mitzusingen.
Von aussen bin ich nur irgendein Mädchen, das in einem Café vor dem Laptop sitzt, anscheinend hochkonzentriert. Aber die Reize lassen meine Synapsen glühen und ich schreibe: nichts. Ich wäre der perfekte Spy, ich bekomme alles mit.
Dass das nicht im generellen Sinne “normal“ ist, weiß ich noch nicht so lange. Dass meine Sinne stets geschärft sind und ihnen eine bessere Filterkraft fehlt, darüber habe ich erst vor einem Jahr gelesen. Ein Jahr, in dem ich andauernd müde war, abgespannt, mit Rauschen in den Ohren und dem Gefühl mich konstant zurück ziehen zu wollen. Allein zu sein. Mich einzuigeln. Nach der Arbeit sank ich oft einfach nur auf mein Bett und wollte nichts mehr sehen, wälzte mich in einem Zustand zwischen wachen und schlafen hin und her. Ich war nicht physisch müde. Ich war mental müde! Die Welt da draussen fühlte sich zu intensiv, zu nah an, ich wollte sie dimmen – mich dimmen. Das Wort Depression und Burn Out kreiste vor meinem inneren Auge, ich hatte Sorge schon wieder an einem Punkt zu sein, an dem ich Hilfe brauchte. Bis zu dem Tag, an dem ich wie durch einen Fingerzeig auf einen Artikel über Hochsensibilität stieß.
Wer hochsensibel ist, dem setzen Umweltreize mehr zu als anderen. Wer hochsensibel ist, der empfindet die Welt (vielleicht gerade in der Stadt) als einen Ort, der über die Maßen voll von Geräuschen, Gerüchen, Problemen und schrillen Farben ist, die direkt auf ihn einsprasseln, unter die Haut dringen und Wellen schlagen. Aber auch das ist Hochsensibilität:
Die Liebe zur Natur, zur Schönheit in den feinen Details. Ein Talent zum Multi Tasking, eine feine Beobachtungsgabe, ein Auge fürs Detail und eine hohe Empathie. In meinem Fall das ausgiebige Feiern des Geruchs einer Tasse Kaffee und dem leisen Spielen von klassischer Musik zum Frühstück. Dieses bestimmte Kinstern der Zeitung beim Umblättern. Meine bunten Träume jede Nacht. Und dass Musik mich an Stellen berühret, an dem niemand mit seinen Händen jemals Zugang fände. Und tatsächliche Berührungen sind für mich so intensiv, dass sie noch lange nachhallen. Wie warme Abdrücke auf meiner Haut.
Hochsensibel ist nicht falsch,
ist nicht krank,
ist nicht gestört
Und das war schon immer so, nur dass ich nie wusste, dass es für viele andere kein Problem darstellt oder sie es einfach nur nicht so intensiv empfinden. Schon als Kind fiel den Menschen um mich herum auf, dass ich zwar klug, aber auch sehr sensibel war, und dass das „sehr sensibel“ das „intelligent“ oft in den Hintergrund treten lies. „Sensibelchen“ hieß es seitens meiner Eltern bis zum dem Tag als ich auszog. In Konflikten weinte ich schnell, ein rauer Ton wurde quasi sofort zum Auslöser für Wutausbrüche und Verzweiflung. Ja, man musste vorsichtig sein mit mir, denn es hieß, ich sei schwierig. Wie schade, so intelligent, aber auch so schwierig. Meine spätere Kindheit und vor allen Dingen die Zeit als Pubertierende und junge Erwachsene war geprägt von dem Gefühl nicht richtig zu sein. Ich machte mir ständig Gedanken über das Leben, den Tod, die Umwelt. Sah viele Probleme in der Welt und hatte ständig das Gefühl, dem hilflos ausgeliefert zu sein. Ich war erfüllt von einer tiefen Unruhe und ständig auf der Suche nach etwas. Nach Ruhe, Zugehörigkeit, Harmonie, Gerechtigkeit. Und konnte sie nie finden. Meine Kreativität wurde zum Ventil, die Kunst mein Anker. Das Schreiben seit ich 11 Jahre alt bin, war mir immer eine hilfreiche Therapie, all das was in mir war, an Komplexibiltät zu berauben und abseits meines überforderten Kopfes zu bearbeiten.
Heute ist das nicht viel anders, nur dass ich durch mein Wissen um meine Hochsensibilität nach und nach lerne, mir nicht mehr im Weg zu stehen. So zum Beispiel meide ich laute Partys. Discos sind für mich lebensfeindliche Orte, an denen ich mich mit Dorgen taub machen müsste, um Spaß zu haben. Ich liebe Musik, das Tanzen und ich genieße mein Leben, aber laute Partystraßen mit grellen Lichtern und aneinander gedrängten Körpern – da möchte ich schreien, und das nicht vor Glück. Wenn es ein paar Tage laut und trubelig um ich herum war, zum Beispiel im Job oder im Privatleben, wenn es viele Treffen mit vielen Menschen gab, habe ich so etwas wie eine kleine Depression. Ich nenne sie meine kleine Gewitterwolke, die über mir schwebt und alles eintrübt. Es ist wie einen Kater zu haben. Der verschwindet, aber er zeigt mir eben auch, dass ich nicht aufgepasst habe. Dass ich zu viel wollte, zu viele Dinge, die für andere kein Problem sind. Denn davor bin ich nicht gefreit, und werde es nie sein: Der Wunsch doch so belastbar zu sein wie viele andere es scheinbar sind. Eine laute Umgebung,Menschenmassen, andauernde Reizüberflutung besser ertragen zu können. Sich nicht gläsern zu fühlen und alle Reize in einem Raum auf einmal wahrnehmen zu müssen.
Doch dann weiß ich auch, verzichtete ich auf die negativen Seiten der HSP so würden mir all die positiven eben auch verloren gehen.
Meine Liebe zur Kunst, zur Musik, zur Natur, die daher kommt, dass ich sie intensiv in mich aufnehme und sie mich so sehr berührt,
dass mir manchmal die Tränen kommen.
Meine Feinfühligkeit in Beziehungen, mein Talent Stimmungen wahrzunehmen und auf Menschen einzugehen und richtig mit ihnen zu kommunizieren.
Wir Hochsensiblen mögen schwierig sein, aber wir nehmen eine Perspektive auf die Welt ein, die ohne uns fehlen würde.
Ich glaube, gerade in den Künsten.
20 % gehörst, die die Charaktereigenschaft Hochsensibilität haben? Im Internet gibt es einige Selbsttests, die Dir eine erste Richtung aufzeigen können. Noch ist das Feld der Hochsensibiltät im Gegensatz zu anderen Charakterformen wenig erforscht, aber, wenn Du kannst, sprich mit deinem Psychologen oder Psychotherapeuten darüber. Hier rechts findest Du ausserdem einige gute Artikel und Buchempfehlungen zum Thema. Und wenn Du einfach jemanden zum Austauschen suchst, schreib mir gern oder hinterlass einen Kommentar.
F R A N Z I S K A
you will hear from me soon.
Leave A Reply