„Das ist aber nicht nur dein Ego dann. Das macht dich doch sicher auch traurig.“ Mein Mitbewohner rührt weiter in seiner Suppe, die auf dem Herd vor sich hinköchelt. Und so simpel dieser Satz auch ist, so nebenher er ihn auch in unser Gespräch einbaut, er trifft. Denn er zeigt etwas auf, was ich mir bislang nicht eingestehen wollte.
Wir waren gerade dabei über etwas zu sprechen, was mich in letzter Zeit gedanklich und emotional stark beansprucht. Ein Problem, welches ich weder richtig begreifen, noch lösen kann. Und wie ich es so oft tue, versuche ich im Gespräch mit anderen so zu tun als hätte ich alles im Griff. Oder mindestens, als wäre das ja gar nicht so schlimm, als würde ich schon ganz klar sehen, warum es mich beschäftigt. Dass ich aber im Prinzip voll drüber stehen würde. Ich breche runter, ich wiegle ab, ich deckle oder zucke mit den Schultern.
Nicht so schlimm, sage ich – meistens lächle ich, mache hier und da einen flapsigen Kommentar über die eigene Situation und lasse meine schauspielerische Ader das Ganze wie eine Kleinigkeit aussehen. Wenn ich mich Freunden öffne, meine Verletzlichkeit durchblicken lasse, dann versuche ich meist schon nach 5 Minuten das Ganze wieder zu relativieren, vom Thema abzulenken. Ach naja, ist halt so. Ich hab damit ja auch schon abgeschlossen. Stimmt nicht. Oft zumindest.
Wenn mich etwas wirklich trifft, dann ist die Wand, die ich um mich hochziehe ziemlich hoch. Ich spreche darüber, aber formuliere fast nie klar, wie ich mich wirklich dabei fühle. Und dieser ganz natürlich ausgesprochene Nebensatz in der Aussage meines Mitbewohner, dieses Wort „traurig“, hat mir das gezeigt.
Wann habe ich denn das letzte Mal gesagt: Ich bin traurig. Oder: Ich bin verletzt. Einfach nur dieser Satz – ohne eine Erklärung, ohne die Relativierung. Ohne, dass ich den Grund für meine Traurigkeit wie unter einem Mikroskop hin und her gewendet habe um zu sehen, ob es wirklich etwas ist, weswegen ein Mensch niedergeschlagen sein darf.
Und ich glaube, dass es nicht nur mir so geht. Vielleicht bin ich da, wie so oft, etwas extremer als andere. Aber ich denke, dass wir alle unsere Fassaden schön weit oben haben, dass wir negative Gefühle und Verletzlichkeit am liebsten ausblenden würden – vor uns selbst, aber vor allen Dingen vor anderen. Denn sich vor anderen verletzlich zeigen, sich angreifbar machen? Abgelehnt werden? Das erfordert ’ne ganze Menge Mut. Und das setzt voraus zu sich zu stehen, zu der eigenen Person, damit okay zu sein, dass man eben nicht unfehlbar und beinhart ist. Und sich trotzdem oder gerade deswegen anzunehmen.
Smile and the world smiles back at you.
But what if you just don’t feel like it?
Aber wieso tun wir das? Sollten wir es nicht eigentlich besser wissen? Angekommen im 21. jahrhundert, in einer vermeintlich freien, selbstbewussten Gesellschaft, wo sich jeder erhobenen Hauptes über social media zeigt und sich dort doch jeden Tag zur Zielscheibe für eventuelle Angriffe auf Selfie und Co. macht.
Es ist aber eben genau diese unsere Gesellschaft, die uns beigebracht hat, dass wir uns nicht verletztlich zeigen dürfen. Schwäche gilt immernoch als eben schwach, minderwertig. Wie oft saßen wir daneben, als damals im Klassenraum die Augenringe der einen oder die unerwiederte Verliebtheit der anderen Grund zum Lästern war. Wie oft haben wir es hautnah erlebt, als wir jemandem eine schwache Seite gezeigt haben und der sie bei der nächsten Gelegenheit gegen uns verwendet hat? Wie häufig schon wurden persönlich bedingte Lücken im Lebenslauf als negativ, schwach und wenig zielstrebig ausgelegt?
Welcome to our society. Der Starke gewinnt eben. Die Schwachen müssen weichen. Leistungsgesellschaft. Ellenbogen Generation. Indianer weinen nicht und große Jungs kennen keinen Schmerz. Gerade den Männern wird schon früh eingeredet, dass Schwäche unschön ist. Irgendwie weiblich. Dem “schwachen Geschlecht“ zu ähnlich. Denkt mal darüber nach, mit welchen Leitsätzen ihr aufgewachsen seid. Wie mit Sensibilität, Tränen und Verletzlichkeit in eurer Kindheit umgegangen wurde. … Und unsere Generation hat es wohl noch gut. Denkt doch einmal an Kriegsgenerationen.
Was könnte ein Ausweg sein aus diesem Teufelskreis von Verletzungen, Angst vor Ablehnung, versteckter Verletzlichkeit, Vermeidung und emotionaler Abschottung? Und welche Benefits ließen sich daraus gewinnen, sollten wir uns mehr öffnen?
Natürlich ist wohl nicht gemeint, dass wir all unsere Schwäche und all die Angst und Zweifel an jeden und alle herauslassen.
Ich denke, sich gegenüber jemandem verletzlich zu zeigen das ist, was am meisten Mut erfordert. Ich denke auch, dass aber genau das der Stoff ist, aus dem echte Bindungen entstehen. Und aus echten Bindungen entsteht folglich sowas, wie ein Gefühl von angenommen sein, als der Mensch, der man tatsächlich ist, mit all den Fehlern und Problemen. Und sich dann nicht mehr einsam und allein zu fühlen , sondern wieder Stärke zu generieren.
Brenè Brown, Resercher und Autorin des Buches „Daring Greatly“, spricht darüber, dass wenn wir jemandem begegnen, wir nicht etwa die Stärke des Anderen suchen, sondern seine Verletzlichkeit, in der wir uns selbst wiederfinden können. Aus eben diesem Bedürfnis: Einen Gleichgesinnten zu finden, bei dem die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass er uns mit unseren Eigenarten besser versteht, weil er es selbst kennt. Und obwohl wir das Ungeschützte im Anderen sehen möchten ,wollen wir bloß nicht diejenigen sein, die sich dieser Person initial öffnen. Die eigene Verletzlichkeit gehört in der Begegnung mit Anderen versteckt. Wir öffnen uns erst, wenn der Andere sich öffnet. Aber der Erste sein, der die Fassade runterlässt? Schwierig. Und da liegt das Dilemma.
Ich nehme mir also vor, in nächster Zeit mutiger zu sein, was meine eigene Verletzlichkeit betrifft. Und keine Scham darüber zu empfinden, negative Emotionen zu haben. Ich versuche, zu verbalisieren, dass ich nicht Superman bin und nicht immer die Lösung habe. Und Sachen direkter anzusprechen ohne zu meckern. Ja, manche Dinge machen mich ziemlich traurig. Ja, ich bin verletzt. Und nein, wenn mir nicht nach lächeln ist, dann tue ich es auch nicht. Wie könnte ich, wenn ich immer alles nur mit mir selbst ausmache, erwarten, dass die Dinge besser werden?
Weiterführende Links zum Thema
Auf diesen TED Talk bin ich durch meine Recherche gestoßen und war ziemlich baff, wie sehr ich mich in ihren Ausführungen wieder entdecken konnte.
PHOTOS 2&4 BY GREGORY
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