Kein Ort dieser Stadt ist mit so vielen Erinnerungen behaftet wie dieser. Jede Stelle erzählt eine bestimmte Geschichte, die in mir ewig als Erinnerung nachhallen wird. Egal, wie oft ich noch auf den Bänken sitzen oder an meinem Lieblingsbaum lehnen werde, um den Blick auf dieses ruhige Wasser hinausgleiten zu lassen, es wird nie lahm, nie langweilig, nie unbesonders werden.
Ich erinnere mich, wie die Alster als geduldiger Zeitzeuge vor vier Jahren meine wütenden, emotional aufgebrachten Laufrunden überwachte. Es waren die ersten meines Lebens an diesem Ort; vorher war die Gegend um die Alster herum ein von mir ignorierter Punkt auf der Fläche Hamburgs gewesen. Heute kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Aber damals war es neues Territorium. Ein weißer Canvas. Ich erinnere mich wie es Sommer war und wie ich nach diesen Runden an der Alsterperle saß und in den Sonnenuntergang sah. Richtung Winterhude. Nicht ahnend, wie viel mehr dieser Erinnerungen ich an diesem Ort schaffen würde.
Es ist meine ganz persönliche memory lane. All diese Erinnerungen gebündelt an einem Ort. Ich kann mich auf einer der verwitterten Bänke niederlassen und schon spulen sich die Bilder herunter – inklusive aller Emotionen und Gedanken, die ich hatte. Manche von ihnen sind schmerzhaft, tieftraurig. Andere verbrachte ich ganz allein, glücklich, viele auch in Gesellschaft. Und so sind die Personen, mit denen ich gemeinsam den Blick aufs Wasser, auf die mal im Nebel, mal in Dunkelheit verschwindende Hamburger Skyline teilte unvergessen. Sie werden niemals alt.
Wir, wir werden niemals alt. Werden heute wie damals und morgen dort sitzen. Diskutieren, erörtern, trauern und uns kennenlernen.
Wenn ich an diesem Baum lehne werde ich immer 27 sein und mit den Rücken auf dem Rasen liegen und in die Blätter schauen, die sich vor tiefblauem Himmel im Wind wiegen. Ich werde davon träumen im Flugzeug weit weg zu sitzen oder davon, in einem Cabrio durch die sommerwarme Stadt zu fahren. Weil es mir jemand zugeflüstert hat, weil ich es mir selbst gewünscht habe.
Die Alster, sie bewahrt all diese Momente für mich wie Schätze. Sie bewahrt die Berührungen, die meine Haut bekommen hat, die Tränen, die mein Gesicht gestriffen haben und die Aufregung, die mein Herz gespürt hat.
All die Getränke, die ich während Picknicks getrunken habe und die Nächte, die ich auf einer der Brücken stand und meinen Lieblingssong in den Ohren hatte. Wie mir der kräftige Wind jede Emotion weggeweht hat und ich dachte, ich könnte jetzt einfach davonsegeln. Wie ich auf dem Fahrrad neben Dir hergeradelt bin und wir uns unsere Lebensgeschichten erzählten. Auch noch nach 22 Uhr und Runde drei.
Welcome to Memory Lane
Auch heute noch ist die Alster mein Ruhepol, mein Anker, mein Sonnenscheinspot.
Wenn ich nicht mit meinen Gefühlen, dem Gestern und Heute konfrontiert werden möchte, gehe ich auch nicht dort hin. So kommt es vor, dass ich wochenlang keinen Schritt auf den sandigen Wegen tue. Die Alster, sie kennt mich nicht in Verleumdung, sondern nur in Wahrheit und in Momenten, in denen ich ganz ich, ganz bei mir bin – oder es vorhabe zu sein.
Die Alster hat mir gezeigt, wie sehr die Natur und ich zusammen gehören. Wenn mir die Straßen mal wieder zu eng wurden und die Häuserfronten mir zu nah kamen, flüchtete ich ans Wasser um ein bisschen mehr Blau und Grün zu sehen. Und um endlich den Blick geradeaus schweifen lassen zu können, ohne dass ihn irgendetwas gestoppt hätte.
Ich bin sehr dankbar, dass ich an diesem schönen Flecken der Stadt wohnen darf.
Ich bin immer ehrlich zu mir wenn ich an der Alster entlang gehe. Ob ich allein bin oder jemanden begleite. Ob es mitten in der Nacht ist oder während des schönsten Sommertages. Auch, wenn wir mitten in der Stadt sind, können wir uns allein in der Natur fühlen. Und während wir in den Straßen und vollgestopften Geschäften, an den lauten Kreuzungen und in unseren kleinen Wohnungen die Fassaden aufrecht erhalten, bewegt uns der Blick auf Wasser und ins Grün dazu, tief durchzuatmen und loszulassen. Auf zu machen, damit etwas hinein kann.
Ich bete zum Wasser
Immer, wenn ich nachdenken muss gehe ich an die Alster. Immer, wenn ich allein sein will, gehe ich an die Alster. Immer, wenn ich mich entspannen will, immer, wenn ich reden muss, ja, dann gehe ich an die Alster.
Andere Leute gehen in die Kirche; ich bete zum Wasser, zu den Bäumen, zum Schilf.
Und wenn ich die Schlösser der Verliebten an den kleinen Brücken hängen sehe und die Initialen in den Baumrinden, verstehe ich, dass ich damit nicht allein bin. Wenn sie reden könnte, wenn das Wasser all die Geschichten erzählen könnte, die hier endeten und begannen. Von Generationen von Menschen, die ihre Sorgen und Gedanken und Liebsten mit an die Ufer dieses Binnengewässers brachten – ich würde vieles darum geben, sie zu hören.
Und so stehe ich auch heute noch, vier Jahre später, an einem meiner Lieblingsorte, sehe zu den Lichtern dieser verrückten, schönen Stadt hinüber, höre das ferne Pulsieren des Nachtlebens wie es über das Wasser zu mir hinübergetragen wird und kann endlich ganz durchatmen.
Ich liebe diesen Ort.
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